Rede zum Totensonntag 2007

Gespeichert von admin am Fr., 04.03.2016 - 01:45

Sinnvoll leben ?!

Ich füge hinzu: Tue etwas!

 

Sinn und Zweck unserer Feier heute hat Herr Koop bereits erläutert. Ich füge hinzu: Tue etwas!

 

Viele von Ihnen kommen auch zum wiederholten Male, weil sie davon überzeugt sind, dass unsere Veranstaltungen in dem Geschwätz unserer Zeit nachdenkliche und immer neue förderliche Aspekte für den Alltag unseres Lebens bereit halten. Ihnen danke ich besonders für Ihr wiederholtes Kommen.

 

1.

Wenn wir diese Feier unter das Motto: „Sinnvoll leben?!“ gestellt haben, dann deshalb, weil die gegenteilige Aussage: „…es macht doch alles keinen Sinn mehr!“ sehr oft eine Begründung für einen selbst gewollten und vorzeitigen Tod ist.

Darüber hinaus plagen sich depressive Mensch täglich mit dieser Sinnfrage und die depressiven Erkrankungen nehmen in unserer Zeit rapide zu.

Es ist eine ähnliche Aussage wie jene, die wir manchmal vom medizinischen Fachpersonal hören: “Es gibt keine Hoffnung mehr!“

Sinnlosigkeit und Hoffnungslosigkeit sind nur die zwei Seiten derselben Münze. Die eine Seite ist eher die Innensicht während die andere Seite eher die Sicht von außen ist.

 

2.

Überlegen wir gemeinsam weiter: Welche Anlässe bringen uns dazu, über diese Frage nachzudenken?

Nach meinen Beobachtungen gibt es zwei eher gegensätzliche Anlässe, die uns zu diesem Nachdenken veranlassen:

- Der erste Anlass hängt damit zusammen, dass wir Zeit und Muße haben, uns mit dem Sinn des Lebens zu beschäftigen. Wenn unsere elementaren Daseinsvorsorgen geregelt und unsere Verhältnisse gesichert sind, provoziert das oft zu der Frage: „Soll das alles sein? Soll dies das ganze Leben sein? Gibt es nicht noch andere, möglicherweise geistige Werte, für die es sich lohnt, zu leben und sie zu erforschen?“

Viktor E. Frankl hat ein ganzes Buch geschrieben über „Das Leiden am sinnlosen Leben“ Frankl erzählt uns etwas von einer „existentiellen Frustration“ und zitiert den Brief eines amerikanischen Studenten: „Ringsum bin ich hier in Amerika umgeben von jungen Leuten meines Alters, die verzweifelt nach einem Sinn ihres Daseins suchen. Einer meiner besten Freunde starb unlängst, weil er eben einen solchen Sinn nicht hatte finden können.“

Ist es ein Wunder, wenn dann politische und religiöse Führer mit ihren Sinn- und Heilsversprechen besonders junge Leute hinter sich scharen?

- Der zweite Anlass hängt mit diesem Ort zusammen. An diesem Ort wird an 6 Tagen in der Woche von den vielen Tausenden, die hier ihren verstorbenen Menschen verabschieden, mit konstanter Regel-mäßigkeit die Entscheidung abverlangt, ja zu sagen zu dem, was Theodor Storm so formuliert:

Und wieviel Stunden dir und mir gegeben,

wir werden keine mehr zusammen leben.

Was ist der Sinn des Lebens, wenn wir doch sterben müssen?

Das Nachdenken über den Lebenssinn zwingt sich uns auf, wenn wir uns in einer Krise befinden. Wir Redner und Pastoren wissen genau so wie das Bestattungsinstitut von vielen Fällen, in denen der Verlust eines lieben Angehörigen trotz dieser Möglichkeit ja zu den eingetretenen Tatsachen zu sagen, nicht zur Annahme dieser Möglichkeit führte.

Die Folge war dann, dass sich die innere Verfassung: „…es macht doch alles keinen Sinn mehr!“ verfestigte und zur Depression mit allen Folgen führte, welche die Mediziner dann so kommentieren mussten: “Es gibt keine Hoffnung mehr!“ Diese Art von Lebensverweigerung kann auch im Zeitalter der Individualisierung keine Alternative sein.

Wir sind ins Leben geworfen, damit wir leben. Alfred Adler, der Begründer der individualpsychologischen Psychologie hat den sehr richtigen Satz aufgestellt: „Das Leben ist kein Sein, sondern ein Sollen!“

Wir sind in diese Welt geworfen, damit wir leben!

Leben ist immer viel mehr, als wir denkend erfassen können.

Das nur denkende Erfassen unserer Lebenswirklichkeit hat uns im Mittelalter zu der durchaus ernst gemeinten spitzfindigen Frage geführt, wie viel Engel wohl auf einem Stecknadelkopf Platz haben würden.

Seither haben sich unendlich viele denkerische Spitzfindigkeiten entwickelt, welche Stück für Stück die Theorie in Verruf gebracht haben. Die heute gebräuchliche abfällige Bemerkung, das ist alles nur graue Theorie, hat dazu geführt, das jeder heute nur auf sein „Bauchgefühl“ achtet und dabei vergisst, dass 2 x 2 nun mal vier sind, unabhängig davon, was unser Bauchgefühl dazu meint.

Deshalb müssen wir zurück an diesen Punkt, wo wir uns möglicherweise falsch entschieden haben und diese Entscheidung nachholen. Wir müssen uns richtig entscheiden für den richtigen Weg.

Sie haben diese Spruchkarten auch schon gesehen: „Der Weg ist das Ziel!“

Die alten (und neuen) religiösen Vorstellungen, speziell im Fundamentalismus, dass das Ziel die Mittel heiligt (Jesuiten) können wir als moderne Menschen nicht mehr aufrechterhalten. Wenn wir unterwegs zusammenbrechen, dann hilft auch das beste Ziel nichts mehr. Und wenn wir tot sind, spielt es keine Rolle mehr, ob wir alles doch so gut gemeint haben.

Nachdem wir die Ausgangslage erörtert haben, wollen wir uns den Lösungen zuwenden.

Der zweite Teil unseres Themas heißt: Tue etwas!

Leben setzt sich zusammen aus richtigem Denken und richtigem Tun. Das eine ohne das andere bringt uns nicht weiter.

Meine damals kleine Tochter Esther wird mir immer ein Beispiel bleiben. Sie dachte richtig und sie handelte danach. Sie versuchte mit ihren dicken Windelpaketen auf ihren kleinen wackeligen Beinchen zu stehen. Ich predigte und meine Frau saß in der ersten Reihe am Mittelgang. Esther wollte nicht sitzen, sie wollte laufen. Sie hielt sich am Mutter Knie fest und strahlte darüber, was sie schon alles konnte.

Dann erregte das Gesangbuch auf dem nächsten Stuhl ihre Aufmerksamkeit. Ganz vorsichtig rangelte sie sich dorthin und griff nach dem Buch. Dann hatte sie eine Idee: Sie griff das Buch mit beiden Händen und lief los. Meine Frau konnte gar nicht so schnell reagieren wie Esther - sich an dem Buch festhaltend - durch den Gang nach hinten lief.

Die Botschaft dieser Geschichte ist dreifach:

- Esther dachte richtig über das Laufen nach, und sie tat es.

- Esther traute sich nicht zu, alleine zu laufen. Sie brauchte etwas, woran sie sich festhalten konnte. Von meinem Standpunkt aus war es lächerlich, woran sie sich festhielt. Von ihrem Standpunkt aus, war das Gesangbuch absolut notwendig und ihr fester Halt.

- Es war der Anfang von dem, was folgte: Am nächsten Tag brauchte sie kein Gesangbuch mehr, sondern riss sich los, und wenn man sie festhalten wollte krakeelte sie voller Stolz und Entrüstung: „Esther kann (al)leine…“

- In unserer Trauergruppe war ein Mann den es doppelt traf. Er wurde Rentner und schied aus seinem geliebten Arbeitsfeld aus und zur gleichen Zeit starb seine Frau. Er wurde schwer krank und verzweifelt an der Sinnfrage. Dann verfestigte sich die Idee, dass er in seinem Alter noch einen medizinischen Heilberuf erlernen wolle. Jetzt endlich hätte er Zeit dazu und begann diese Ausbildung. Er braucht die Gruppe nicht mehr, er kann (al)leine…

- Eine Frau in unserer Gruppe war von ihrem Mann verwöhnt worden. Niemals musste sie selbst Autofahren, obwohl sie einen Führerschein hatte. Ganz plötzlich starb er. Nach einiger Zeit nahm sie Nachholfahrstunden und ist stolz, dass sie es geschafft hat, selbst wieder Auto zu fahren. Sie kann nun (al)leine…

- Ein beginnender Rentner verlor auf tragische Weise ganz plötzlich seine langjährige Ehefrau, mit der er sehr eng verbunden war. Er kam in die Gruppe und befreite sich im Kopf denkend von vielen Vorurteilen. Er suchte sich eine neue Partnerin und hat neue Perspektiven (Sinn, Hoffnung) für sein Leben gewonnen. Jetzt kann er (al)leine…

Was war passiert? Hatten diese Menschen den Sinn ihres Lebens gefunden? Nein, sie haben nur instinktiv das getan, was Odo Marquard, ein moderner Philosoph, uns in einem wunderschönen Bild so erklärt:

(Ich wiederhole mich aus einigen meiner Trauerreden)

Der Mensch, der den Sinn des Lebens sucht (wie die Studenten in den USA), ist vergleichbar mit einem Menschen, der Obst wollte, und darum Äpfel, Birnen, Pflaumen, Kirschen und Quitten verschmähte, denn er wollte ja nicht Äpfel, sondern Obst, nicht Birnen, sondern Obst, usw..

Er wählte also den einzigen mit Sicherheit erfolgreichen Weg, gerade das nicht zu bekommen, was er doch wollte: nämlich Obst.“

Und weiter erklärt er uns:

Dieser Mensch ist vergleichbar mit dem Sucher nach dem Sinn des Lebens. So einer will nicht lesen, sondern Sinn. Er will nicht schreiben, arbeiten, faulenzen, lieben, helfen, schlafen, Pflichten erfüllen, Neigungen folgen, sondern Sinn, usw.“

Und:

Wir müssen die verzweifelte Suche nach dem großen Sinn des Lebens aufgeben – denn den gibt es nicht – sondern unsere alltäglichen kleinen Sinnerfüllungen verrichten. (Wir müssen unseren Weg gehen) Wer immer etwas zu tun hat, der kommt nicht in Gefahr, dem sinnlosen Nichts zu begegnen. Die vielen kleinen Tätigkeiten und Aufgaben des Alltags reichen völlig aus, um ein sinnvolles Leben zu führen.“

Immer wieder wird unterschiedlichen Menschen in Rundfrageaktionen genau diese Frage vorgelegt: „Was ist für Sie der Sinn des Lebens?“

Die Antworten sind immer gleich. Der bekannte Walter Jens antwortete z.B. so: „Fangen Sie mit den kleinen Dingen Ihres täglichen Lebens an, versuchen Sie, in diesem bescheidenen Bereich zwischen sinnvoll und sinnlos zu unterscheiden - ich glaube, dass jeder Mensch über ein solches Urteilsvermögen verfügt - , dann finden Sie, oft ganz selbstverständlich und ohne es zu merken, den Sinn des Lebens ganz alleine für sich!“

In den von mir erlebten Beispielen haben die Gruppenteilnehmer nicht das Obst des Sinnes des Lebens gefunden, sondern den Apfel einer neuen Ausbildung, die Birne des selbständigen Autofahrens und die Kirsche eine neuen Partnerschaft.

Im Zeitalter der Globalisierung darf ich zum Schluss eine Zengeschichte aus Japan erzählen:

Das echte Wunder

Als der Zenmeister Bankei im Tempel predigte, war ein Priester einer anderen Sekte eifersüchtig auf Bankeis große Zuhörerschaft und wollte mit ihm debattieren.

Bankei war mitten in der Rede und fragte nach der Störung.

Der Gründer unserer Sekte“, prahlte der Priester, „hatte so wunderbare Kräfte, dass er einen Pinsel auf der einen Seite des Flusses in der Hand hielt und sein Diener auf der anderen Seite ein Papier, und der Lehrer schrieb den ganzen göttlichen Namen durch die Luft auf das Papier. Kannst du so etwas Wunderbares auch tun?“

Bankei erwiderte milde: „Vielleicht kann dein Schlaukopf dir diesen Trick zeigen, aber das ist nicht die Art des Zen. Mein Wunder besteht darin, dass ich esse, wenn ich hungrig bin, und trinke, wenn ich durstig bin!“

(Ohne Worte - ohne Schweigen, Paul Reps, 1985, Otto W. Barth Verlag)

Wenn Sie gleich nach Hause gehen und genussvoll essen, dann ist das für den Augenblick der Sinn Ihres Lebens. Für heute Nachmittag finden Sie wieder einen Sinn und dann auch vielleicht einen anderen für heute Abend.

Sollten Sie für heute Mittag noch nichts vorbereitet haben, dann ist das ab jetzt der Sinn Ihres Lebens, ein schmackhaftes Essen vorzubereiten und mit großem Genuss aufzuessen.

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.